RND »Nach EU-Wahlen: „Im Kreml wird man über die Ergebnisse sehr verärgert sein“« — Zitate
„Alexey Yusupov ist Leiter des Russlandprogramms bei der Friedrich-Ebert-Stiftung. Er sagt, das offizielle Russland sei zwar zufrieden mit den Wahlergebnissen, aber triumphale Töne würde er nicht aus Moskau hören. Kremlsprecher Dmitry Peskov etwa habe im Anschluss an die Wahl gesagt, rechte Parteien seien den regierenden Parteien „auf den Fersen“.
Grundsätzlich könne man zwei Narrative ausmachen, sagt Yusupov: Zum einen sei der Kreml der Auffassung, es habe das vermeintlich „wahre Volk“ Deutschlands und der EU gesprochen. Die Wahl sei nicht nur ein Denkzettel an die Regierenden Europas, sondern eine Demokratie müsse auch damit leben können, dass die Menschen ihre „wahre“ Meinung zum Ausdruck bringen: „Das ist ein propagandistischer Spin, der darauf abzielt, das eigentliche Interesse der Deutschen sei es, Druck auf Kiew auszuüben, zu einem Deal unter den ‚Großen‘ zu kommen und sich nicht länger an das Völkerrecht und Selbstbestimmungsrecht der Länder zu halten“. So behaupte es beispielsweise Marat Baschirow, der Leiter der staatlichen russischen Nachrichtenagentur TASS.
Dass in Frankreich nun Neuwahlen stattfinden und sich Macron auf innenpolitische Themen konzentriert, spiele in Russlands Kalkül, erklärt Yusupov von der FES. „Russland hat im dritten Kriegsjahr eine neue Strategie gefunden: Spielen auf Zeit“. Ein schneller Sieg sei weder militärisch noch politisch möglich. Deswegen setze Russland jetzt auf Zermürbung – nicht nur beim ukrainischen Militär, sondern auch bei der öffentlichen Meinung in Europa: „Die ist wichtig, denn die europäische Meinung ist eine wichtige Quelle für die ukrainische Resilienz“.
Nach Einschätzung des Russland-Experten der Friedrich-Ebert-Stiftung setzt der Kreml auf eine Belastungsstrategie aus mehreren Komponenten: „Man droht mit Atomwaffen – das löst Angst aus, die zu Debatten führt. Man greift die Ukraine noch stärker an – die Debatte über das Unterstützungsniveau soll zugunsten der rechten Ränder hochgehalten werden“. Das übergeordnete Ziel: Europa soll im Chaos versinken und nach der Devise „Hauptsache der Krieg ist schnell vorbei, koste es was es wolle“ handeln.
Aber auch die EU kann auf Zeit spielen – und das sehr erfolgreich. Da sind sich Alexey Yusupov und Ian Garner einig. „Wir sollten uns nicht von Russland einreden lassen, die EU sei instabil. Denn auch die EU kann sehr gut auf Zeit spielen“, so Yusupov. Kurse, die einmal eingeschlagen wurden, könne man nicht so leicht ändern. Und die EU habe bereits einen Kurs eingeschlagen: die Unterstützung der Ukraine. „An dieser Stelle sind die langwierigen formellen Prozesse der EU ihre Stärke.“